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Liebe Kafi. Vorhin im Tram wurde eine pummelige Frau 1 Min. lang von einem (geisteskranken?) Mann übelst verbal attackiert („Sie fette Sau... Kindli-Fresser-Monster“ (<- WTF?!?)). Ich bin im Privaten & Beruflichen sehr schlagfertig, traute mich aber nicht meine Einwände (von „geht’s noch?!“ bis „falsche Richtung für Burghölzli“) zu äussern – geschweige denn nur mit ihr verbal zu solidarisieren. Ich hatte Angst er schlägt mich zu Boden – ehrlich! Ich schäme mich akut. Muss ich das? #Angsthasengate... Eliane, 34

Liebe Eliane

Mit der Courage im Alltag ist es so eine Sache. Grundsätzlich ist sie zu dünn gesät, wie das junge Beispiel vom alten Mann auf dem Boden einer Bankfiliale zeigt. Allerdings weiss ich auch nicht, ob ich mich in eine Situation einmischen würde, wenn ich das Gefühl hätte, dass ich es mit einem wirklich geisteskranken Menschen zu tun habe. Aber ich würde mit Sicherheit die Polizei rufen und das auch so kommunizieren. Oder das Trampersonal informieren, welches dann in der Zentrale Troubleshooter bestellt. Das Einbinden von Leuten ist immer eine gute Taktik, speziell auch wenn Passanten in der Nähe sind, die eigentlich gern wegschauen würden. Man kann so eine Mehrheit mobilisieren, welche die Situation entschärfen kann. Aber einen wirklich geisteskranken Menschen kann man damit auch nicht beeindrucken, da wirken keine vernünftigen Mechanismen mehr. 

Gar nichts machen ist für mich persönlich nie eine Lösung, selber eingreifen aber auch nicht immer. In ähnlichen Fällen, als ich schon Zeuge von verbalen Attacken wurde, habe ich mich einfach neben die angegriffene Person gesetzt, oder gestellt. Das ist eine Geste, die viel bewirken kann. Man solidarisiert sich mit dem Opfer, ohne sich verbal involvieren zu müssen. Ich denke sogar, dass das oft noch mehr Wirkung zeigen kann, als ein mündliches Einschreiten. 

Ich würde mich an Ihrer Stelle nicht schämen, sondern mir viel lieber eine Strategie zurecht legen, wie in einer ähnlichen künftigen Situation zu reagieren wäre. Die normale Schlagfertigkeit, die im Alltag eine schöne Sache ist, hilft einem da nämlich nicht weiter, das weiss ich selber nur allzu gut. In solchen Begebenheiten sind wir auf unsere instinktiven Reflexe zurückgeworfen und die kennen nur Angriff oder Flucht und wir Frauen sind in der Regel besser beraten, wenn wir flüchten. Darum braucht es eine geistige Vorbereitung, um einer solchen Situation gewachsen zu sein. Dass man diese erst einmal entwickeln muss und dazu meistens erst gezwungen wird, wenn man etwas Ähnliches erlebt, ist menschlich. 

Im Gegenteil. Sie machen sich Gedanken und reflektieren Ihr eigenes Verhalten. Schämen müssen sich all jene, die noch nicht mal dies tun. 

Mit herzlichem Gruss, Ihre Kafi

 

 

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