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Liebe Frau Freitag "Zeit mit Aktivitäten zu verbringen, die mir Freude machen", schreibst du. Ich möchte meine Aktivitäten auch soweit möglich nur auf Dinge beschränken die ich gerne mache. Ich bin aber im Vorstand eines Vereins, wo ich viele Aufgaben übernehme, die ich nicht mag. Aber mein schlechtes Gewissen plagt mich, wenn ich damit aufhören würde. Jemand muss es schliesslich machen. Ist es nicht egoistisch nur das zu tun was man gerne macht? Wo bleibt die soziale Pflicht? Noemie, 29

Liebe Noemie

Diese Antwort hat bei vielen Menschen viel ausgelöst. Die Kommentarspalte hat bisweilen geglüht und nicht selten unterstellte man mir gnadenlosen Egoismus. Das kann man natürlich machen, jeder ist frei eine Antwort dahin gehend zu interpretieren, dass sie ins eigene Weltbild passt. Wer mich aber regelmässig liest, wird wissen, dass ich nicht rücksichtslosen Egoismus predige, sondern vielmehr eine gesunde Balance. Ich bin in Berufen tätig, bei denen ich ständig gebe. Wenn ich hier schreibe, bin ich am Geben. Wenn ich coache oder vor Leuten einen Vortrag oder ein Seminar halte, ebenso. Und auch zuhause gebe ich, ich bin ja schliesslich auch noch Mutter, Partnerin, Freundin, Tochter und so einiges mehr. 

Das geht sehr vielen Menschen so, gerade Frauen suchen sich gerne Berufe aus, in denen sie viel geben und das private Umfeld will auch nicht zu kurz kommen. Daran ist nichts falsch, im Gegenteil. Allerdings kann man nicht ständig geben, wenn man nicht auch gut zu sich selber schaut. Man braucht eine gute Basis, damit man eine Quelle für andere sein kann. Und diese Basis ist nur dann vorhanden, wenn man sie sehr konsequent pflegt. Viele Menschen haben das Gefühl, dass gut zu sich schauen purer Egoismus ist, aber es ist genau genommen das Gegenteil. Jemand, der immer nur für andere schaut, wird über kurz oder lang ausbrennen. (Eher über kurz, als über lang.) Das sehen wir gut an älteren Generationen von Menschen, die ihre Aufgabe im Sorgen für andere Menschen gesehen haben, und sich darob ganz vergassen. Die Bescheidenheit, nicht an sich selber zu denken ist eine falsch verstandene Tugend, die mittel- und langfristig niemandem dient. Schon gar nicht den Nutzniessern des Systems, weil es so nicht lange funktionieren wird. 

In meiner Arbeit als Coach ist es von immenser Wichtigkeit, dass ich mich abgrenzen kann. Wenn ich an einem Tag mit diversen Menschen arbeite und mit diversen Lebensgeschichten konfrontiert werde, dann ist es etwas vom zentralsten, dass ich ganz nah bei mir bleibe. Wenn ich das nicht könnte, wäre ich nicht fähig, diesen Job zu machen, weil ich mich nie ganz auf eine Person einstellen und einlassen könnte. Und am Abend würde ich alle Sorgen, die man mir im Laufe des Tages erzählt hat, mit nach Hause nehmen und weiter grübeln und wäre darob nicht fähig, meinem Sohn oder meinem Partner zuzuhören. Das ist ein Problem, dass viele Masseure kennen und Personen, die in ähnlichen Berufen arbeiten. Sie geben den ganzen Tag und sind am Abend leer. Das ist mitunter ein Grund, warum viele diese Berufe nach wenigen Jahren wieder an den Nagel hängen, leider wird ein gesundes Abgrenzen nur in den wenigsten Ausbildungen gelehrt. 

Wenn Sie meine Antwort genau gelesen haben, werden Sie sehen können, dass ich geschrieben habe, dass ich das Gesamtsystem in meine Vorsätze miteinbezogen habe, indem ich schrieb, dass ich genau hinschauen will, was ich für wen mache. Ich impliziere also, dass ich Dinge für andere oder für das System tue, die mir persönlich keine Freude bereiten. Davon habe ich in meinem Alltag sehr viele, das dürfen Sie mir glauben. Jedes Mal wenn ich koche, tue ich das als Eingeständnis an meine Familie, denn es bereitet mir leider kaum Freude. Wenn ich die Wäsche wasche, ebenfalls. Und wenn ich für eine Bekannte eine Rede gegenlese oder für meinen Vater eine Offerte einhole, dann mache ich das auch nicht aus lauter Freude an der Sache, sondern weil ich diese Menschen gerne habe und ihnen gerne einen Gefallen tue. Das werde ich auch weiterhin machen, weil es mir wichtig ist. Das habe ich gemeint, als ich geschrieben habe, dass ich meine Energie auf die mir wichtigen Menschen legen will und bei anderen zurückschraube. Lesen Sie die Antwort noch einmal sorgfältig durch. Ich habe mir, wie bei jeder Antwort die ich verfasse, grosse Mühe bei der Formulierung gegeben, und wenn man sich etwas Zeit zum Lesen nimmt, dann wird man genau diese Feinheiten darin sehen. Leider überfliegen viele LeserInnen meine Texte nur und bilden sich eine Meinung und schreiben bereits einen Kommentar dazu, bevor sie richtig fertig gelesen haben. Das kann man machen, aber man verpasst dann viel Feinsinniges, was man aus meinen Antworten mitnehmen könnte. 

Für Sie wäre es sicherlich wichtig, mal genau hinzuspüren, warum Sie gewisse Dinge tun, die Sie eigentlich gar nicht tun möchten. Gerade im Vereinsleben sind ungeliebte Aufgaben auch mit dem Gefühl verbunden, für jemanden wichtig zu sein. Wenn ich im Coaching mit Klienten an diesem Thema arbeite, dann kommt oft ein Gefühl von "ich werde gebraucht" bis zu "ich bin unersetzlich" oder "das kann ich eh besser als die anderen" zum Vorschein. Die Menschen sind dann jeweils etwas erschreckt darüber, dass die Beweggründe oft nicht ganz so altruistisch sind, wie Sie auf den ersten Blick scheinen. Man könnte mit etwas Spitzfindigkeit sogar von einem gut kaschierten Egoismus reden! Wenn Sie diese Frage ehrlich für sich beantwortet haben, dann können Sie entscheiden, wie Sie weitermachen wollen. 

Mit herzlichem Gruss. Ihre Kafi

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