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Liebe Frau Freitag. Wahrscheinlich haben Sie für mein Problem auch keine absolute Lösung, denn die gibt es wohl gar nicht. Aber es interessiert mich, was Sie denn darüber denken: Wie kann man auf unserer Welt, auf der so viel Grausames, Schreckliches und Unfaires passiert (hauptsächlich ja wegen dem lieben Geld) denn überhaupt noch mit gutem Gewissen leben? Einige Dinge kann man ja vielleicht ansatzweise noch selbst beeinflussen (z.B. Kleider kaufen, die in der Schweiz produziert werden, damit nicht irgendwelche Kinder im Osten vergiftet werden weil sie unsere Jeans ausbleichen müssen), aber vieles haben wir doch gar nicht unter Kontrolle. Geld spenden scheint auch nicht mehr die Lösung zu sein, wenn man so hört was damit wirklich geschieht. Ich muss Ihnen ehrlich sagen, das schlechte Gewissen nagt ganz fest an mir! An Ihnen auch? Liebe Grüsse. Lisa, 24

Liebe Lisa

Nein, an mir nagt dieses schlechte Gewissen nicht. Obwohl ich nach unzähligen Fonduesessions einige Körperstellen wüsste, an denen es sich durchaus zu nagen lohnte...

Ich bin 1975 in der Schweiz geboren und ich bin mir vollkommen bewusst, dass es kaum einen privilegierteren Geburtsort weltweit gibt und dass es von grossem Vorteil ist, wenn man als Frau gegen Ende des letzten Jahrhunderts geboren wurde. Und ich bin mir auch bewusst, dass ich für diese Umstände wenig kann und ich glaube in diesem Zusammenhang eher an Zufall, als an Gerechtigkeit. Denn wenn ich an Gerechtigkeit glaubte, dann wäre es furchtbar anmassend all den Menschen gegenüber, die in Gebieten dieser Welt leben, in denen Hunger herrscht oder aber Krieg geführt wird. Es macht mich natürlich auch ohnmächtig, dass ich die grossen Ungerechtigkeiten dieser Welt nicht verändern kann. Und ich bin mir auch nicht wirklich sicher, ob Geld spenden sinnvoll oder sogar kontraproduktiv ist. Aber ich tu es trotzdem immer wieder und es geht dabei nicht darum, ein schlechtes Gewissen zu erleichtern, weil dafür müsste ich ja erst eins haben. Aber ich weiss nur zu gut, wie schnell man hier in Zürich im Nullkommanix 50 Stutz verjubelt, ohne danach zu wissen, was man dafür bekommen hat. Darum hatte ich über zehn Jahre lang eine Patenschaft, die sich für ein härziges Büebli in Vietnam, für seine Familie und das ganze Dorf eingesetzt hat. Und ja, ich weiss, dass man Hilfswerke, die mit Patenschaften werben, nicht unterstützen sollte. Und ich weiss auch, dass die Organisation, die das tut, deswegen keinen einwandfreien Ruf hat. Aber soll ich Ihnen etwas sagen: es ist mir schnurz. Mir ist sogar schnurz, ob es das eine Büebli, das vom Foto an meinem Kühlschrank strahlt, in Vietnam überhaupt gibt, oder nicht.

Ich sitze hier in der Schweiz und kann nicht kontrollieren, ob von meiner monatlichen Spende von 55 Franken 45, oder nur 5 in Vietnam ankommen. Aber mir tut der Betrag nicht weh und wenn auch nur fünf Franken in den Bau eines Wasserbrunnens oder in die Investition von Schulheften fliesst, dann ist es immer noch mehr als nichts. Sie können mich deswegen gerne als naiv bezeichnen und ich habe mich auch schon stundenlang und leidenschaftlich mit einem Experten für Entwicklungshilfe darüber gestritten.

Selbstverständlich kann man sich sagen, dass man nicht weiss, wo das Geld landet oder darüber sinnieren, ob den Leuten damit geholfen ist. Aber von diesen edlen Gedanken profitiert kein einziger Mensch, der weniger privilegiert geboren worden ist, als wir es sind. Darum habe ich mich für das Spenden entschieden. Ich bin der Meinung, dass es unsere heilige Pflicht ist, informiert darüber zu sein, dass es anderswo auf der Welt noch andere Probleme als bilaterale Steuerabkommen und die Frauenquote gibt und ich zweifle am Verstand meiner Mitmenschen, wenn sie mir vollkommen schockiert von einer TV-Doku über Kinderarbeit in Indien erzählen, obwohl sie etliche Ferien in diesem Land verbracht haben. Die Ignoranz, die mir in unserem Land entgegenschreit, macht mich zornig und traurig zugleich. Und trotzdem gebe ich nicht auf, für ein Stück Gerechtigkeit zu kämpfen, Tag für Tag. Armut gibt es auch in der Schweiz und nicht nur in den himmertraurigen Asylantenheimen, in die wir Flüchtlinge stecken, um Ihnen die Idee auszutreiben, die Schweiz mit dem Paradies zu verwechseln.

Armut gibt es direkt unter uns, wenn sie auch nicht mit sichtbaren aufgeblähten Hungerbäuchen einhergeht. Wenn Sie sich finanziell engagieren möchten, dann können Sie das zum Beispiel bei der Winterhilfe tun. Diese Organisation arbeitet unsentimental und zertifiziert und wird dort aktiv, wo Hilfe benötigt wird. Und machen Sie sich keine Gedanken darüber, ob Sie nur des schlechten Gewissens wegen, oder aus einem anderen Grund spenden. Dem Geholfenen ist es herzlich egal, aus welchen Motiven ihm geholfen wird.

Oder wie mein lieber Freund Udo zu singen pflegt:

Sein ist besser als Scheinen,

Tun ist besser als Meinen,

Kämpfen besser als Weinen,

Helfen besser als Verstehn.

In diesem Sinne: Spenden mag vielleicht keine Lösung sein. Nicht spenden aber auch nicht. Tun Sie etwas, anstatt sich hinter der Ohnmacht zu verstecken!

Alles Liebe, Ihre Kafi.

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