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Liebe Frau Freitag, Sie schreiben ja gerne über Kinder und wie sie das Leben mit Freude erfüllen. Aber welche Lebensziele sehen Sie für eine Frau, die sich Kinder wünscht, aber selber nicht zur fruchtbarsten Sorte gehört und erfährt, dass ihr Partner unfruchtbar ist? Kann sie jemals ohne Kinder glücklich werden? Wie weit darf man gehen in einer Welt, in welcher medizinisch alles möglich scheint? Samenspende? Sein Körper mit Hormonen voll pumpen, Versuch um Versuch? Herzlichst.  Deine Ann, 33

Liebe Ann

Ja, das stimmt. Ich schreibe immer mal wieder darüber, dass man sich im Zweifelsfall für ein Kind entscheiden soll, weil ich tatsächlich noch nie eine Frau gesehen habe, die ihre Mutterschaft bereut, während ich schon sehr viele Frauen kenne, die es bereuen, kein Kind bekommen zu haben. (Ich weiss dass diese Regretting Motherhood Sache immer mal wieder durch die Presse geistert, aber ich weiss auch, dass es sie nicht wirklich gibt. Jede Mutter möchte ihr Kind von Zeit zu Zeit an eine Wand tackern, das ist Part of the Game, der Rest ist eine schöne fette Geschichte, die sich wunderbar mit grossen Titel vermarkten lässt).

Und gleichzeitig ist mir bewusst, dass es eine Aussage ist, die vom privilegierten Standpunkt des Könnens gemacht wird. Was aber, wenn es nicht klappt? Was aber, wenn man möchte und die Natur nicht mitspielt? Ich selbst musste mich dieser Frage nie stellen, aber ich habe schon einige Frauen in meiner Praxis begleitet, die es mussten. Und daher kann ich den Schmerz und die vielen Fragen sehr gut nachvollziehen, liebe Ann. Die Medizin kann heute schon sehr viel und dennoch sind ihr - gerade in diesem Thema - noch oft die Hände gebunden. Man kann teure Hormonbehandlungen über sich ergehen lassen und man kann sich künstlich befruchten lassen. Ob der Körper mitmacht und das Kindli kommt oder nicht, kann man trotzdem nicht beeinflussen. Und das macht es uns so schwer. Wir leben in einer Welt in der wir sehr selbstbestimmt entscheiden können und beinahe alles in der Hand haben. Wir sind es gewohnt, alles zu steuern und zu kontrollieren. Und dann ist da die Kinderfrage, die so elementar und existenziell ist und stellt sich einfach dagegen. Das ist sehr schwer auszuhalten, das kann ich sehr gut nachfühlen.

Frauen die sich in dieser Situation befinden fühlen sich sehr ohnmächtig und hilflos. Aus diesem Gefühl heraus ist man zu vielem bereit. Die sehr kostspieligen Behandlungen gaukeln einem vor, man könnte es beeinflussen. Man probiert alles und zahlt einen sehr hohen Preis dafür, nicht nur finanziell. Hormonbehandlungen sind eine grosse Belastung für die Frau die sie macht und aber auch für die Paarbeziehung. Eine Schwangerschaft ist per se schon eine einseitige Belastung, wenn man dafür noch den Weg der Spitzenmedizin geht, kann das Ganze noch viel strapaziöser und einseitiger werden. Und gleichzeitig ist es richtig, dass es diese Möglichkeiten gibt. Eine Frau (ein Paar), die einen starken Kinderwunsch hegt soll die Möglichkeiten erhalten, dem Glück auf die Sprünge zu helfen. Und einer alleinstehenden Frau, die sich nichts sehnlicher wünscht, als ein Kind durchs Leben zu begleiten, rate ich unter Umständen gern zur Samenspende. (Die Adoption ist natürlich auch eine Möglichkeit, aber ich habe meine ganz eigene Meinung dazu, die den Rahmen dieser Antwort sprengen würde.)

Es gibt hier kein richtig und kein falsch. Jeder Mensch muss für sich selber entscheiden, wie weit er gehen will und kann. Und jedes Paar muss für sich selber eine Antwort finden auf die Frage, wann Schluss ist mit den Versuchen. Der Moment, wenn man vom Kinderwunsch Abschied nehmen muss ist ein schmerzhafter. Wie wenn ein geliebter Mensch gestorben ist, geht man auch hier durch den Prozess der Trauerbewältigung. Schliesslich verabschiedet man sich ja auch von einem geliebten Menschen, den man gerne in seinem Leben begrüsst hätte. Und man muss lernen damit zu leben, dass andere spielend leicht, oder manchmal sogar ungewollt und unpassend schwanger werden und man selber nicht. Man muss aushalten können, dass Kinder abgetrieben werden, während man sich selber nichts sehnlicher wünschen würde, eines zu bekommen.

Das Leben ist oft nicht fair, liebe Ann. Menschen sterben allzu früh oder werden an einen Ort geboren, wo sie in Not und Hunger aufwachsen müssen. Wir haben es nicht in der Hand und müssen mit dem leben, was man uns zuteilt. Das zu akzeptieren ist ein Prozess, der Zeit und Geduld kostet. Ob man ohne Kind glücklich sein kann hängt davon ab, was man daraus macht. Wenn man sich auf das leibliche Kind fixiert, dann wird es schwierig. Wenn man aber den grösseren Sinn der Sache erkennt, dann gelingt es. Die Elternschaft lehrt uns die bedingungslose Liebe und die Relativierung. Es dreht sich nicht mehr nur immer um uns selber. Diese Lernaufgaben kann man auch anderswo finden. Finden Sie einen Menschen oder eine Projekt, die sie mit dieser Liebe begleiten können. Die Aufgabe von uns Menschen ist zu lieben und diese Liebe ist nicht nur innerhalb der eigenen DNA möglich. 

Mit einem Gruss von Herzen. Ihre Kafi. 

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