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Ich lebe nun seit fünf Jahren in der Schweiz. Es gibt hier nach wie vor bestimmte Gepflogenheiten, die mich teils wundern, teils irritieren.So habe ich gelernt, dass es hier üblich ist, jedem Gast eine Führung durch seine Wohnung anzubieten. Ich finde das ganz schrecklich, als Gastgeberin, aber auch als Gast.Ich möchte weder als Gast das Klo oder das Schlafzimmer anderer Menschen kommentieren, noch wildfremde Leute in meine intimsten Räume führen. Kann ich sowas ablehnen, ohne unfreundlich zu wirken? Tamara, 29

Liebe Tamara

Sie haben mich gerade in einer sehr radikalen Phase erwischt. Ob das nun gut für Sie ist, oder eher nicht, kann ich nicht beurteilen. Ich wollte Sie nur vorwarnen. 

Bei mir zu Hause gibt es Führungen auf Verlangen und die dauern, da meine Wohnung sehr gross ist, zwischen 2 und 2 1/2 Stunden und ich habe das noch gar nie hinterfragt. Aber jetzt, nach Ihrer Frage, finde ich es wirklich auch ein superseltsamer Brauch. Hat was von: mein Haus - mein Auto - mein Boot. Sie finden es irritierend in fremde Schlafzimmer zu schauen und wollen das Ihre nicht zeigen? Dann lassen Sie es! Es ist eine falsch verstandene Höflichkeit, Dinge mitzumachen, die einem selber nicht gut tun. Mag sein, dass ich damit einmal mehr die Höflichkeitspolizei auf den Plan rufe, die dann in Grossbuchstaben schreiben wird, dass es doch Herrgottnochmals wohl hoffentlich niemandem wehtut, ein fremdes Schlafzimmer anzuschauen! 

Aber es kann Ihnen und mir herzlich egal sein, was die anderen darüber denken. Lassen Sie sich nicht aus angeblicher «macht man halt so»-Manier heraus zu etwas verleiten, was Sie so nicht tun wollen. Ich selber werde das in Zukunft noch viel radikaler machen und nur noch Dinge tun, die für mich stimmen. Dazu kann auch mal ein Kompromiss gehören, klar. Aber auch der muss dann für mich stimmen. Das sind meine Vorsätze fürs neue Jahr und vielleicht ist ja auch was für Sie darunter:

Ich will mich nur noch mit Menschen zum Kaffee treffen, von denen ich profitiere. Und zwar nicht im kommerziellen Sinne, sondern vielmehr im übertragenen. Tut mir jemand gut? Super! Nicht? Weg! Ich werde meine Zeit mit Aktivitäten verbringen, die mir Freude machen. Wenn ich etwas jemandem anderem zuliebe tue und mich das erfüllt; auch super. Wenn beides nicht gegeben ist, werde ich ganz genau hinschauen, WER die Person ist und um was es sich genau dreht. Reine Höflichkeitsgeschichten werden von meiner Liste verschwinden, da bin ich lieber allein mit mir. 

Ist unsere Zeit nicht zu wertvoll um sie mit Dingen und Menschen zu verbringen, denen wir nicht viel abgewinnen können? Wäre es nicht sinnvoll, viel bewusster und konsequenter NEIN zu sagen, wenn wir eigentlich NEIN fühlen? Würde uns das nicht Kraft und Energie geben, um bei den richtigen Menschen und in den richtigen Situationen beherzt und überzeugt JA zu sagen und auch so zu handeln? Kann sein, dass Ihnen meine Antwort etwas zu radikal erscheint. Dann können Sie auch den einfachen Weg gehen und künftig ein hübsches Sortiment an Sexspielzeug im Schlafzimmer rumliegen lassen. 

Ganz herzlich, Ihre Kafi

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