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Ich bin Grafikerin und selbständig seit ein paar Monaten. Es läuft langsam an, was mich freut. Nur ein Proble setzt mir sehr zu: Ich bin in meinem Bekanntenkreis umgeben von Menschen, die von mir "kleine Gefälligkeiten" erwarten. Ein "unkomplizierter Schriftzug, nichts wahnsinniges, kein grosser Aufwand..." hier, ein Layout für eine Hochzeitseinladung dort. Wie gehe ich damit um? Ich muss auch Geld verdienen! Darf ich nein sagen? Und wenn ja, wie? Danke! Stefanie, 36

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Liebe Stefanie

Ihre Frage liegt schon knapp ein Jahr in meiner Inbox und hätte ich nicht gestern eine ähnlich anmassende Anfrage bekommen, ich hätte sie vermutlich ganz vergessen. (Ich hoffe, Sie sind noch immer freudig in Ihrem Beruf und haben nicht unter all den "kleinen Gefallen" aufgegeben). 

Es ist eine weitverbreitete Unart, Menschen, die ihre Dienstleistung selbständig beruflich anbieten, für kleine, selbstverständlich kostenlose Gefälligkeiten anzufragen. Gerade in Ihrem Berufsfeld ist die Gefahr des angeschnorrt werden, besonders verbreitet, schliesslich hat heut Krethi und Plethi eine Website und benötigt ein unkompliziertes Logo (nichts Aufwendiges, was Nettes halt, für Dich als Profi sicher keine grosse Sache) und geheiratet wird ja auch als gäbs kein Morgen und warum Geld in die Hand nehmen, wenn man doch im erweiterten Bekanntenkreis jemanden hat, der das kann, gell...

Lassen Sie es mich klar und deutlich ausdrücken, liebe Stefanie. Wenn Sie weiterhin selbstständig sein wollen, müssen Sie das kurze Wort NEIN sehr schnell lernen. Mag sein, dass man sich den Luxus der Gratisarbeit neben einem gut bezahlten festen Job leisten kann, sobald man auf eigene Rechnung arbeitet, steht man vor der Wahl, ob man seine Zeit in sein Business investiert, oder in die Freundin eines Bekannten, den man vor Jahren zum letzten Mal gesehen hat und die gern bei einem Tässchen Kaffee eine kleine Beratung hätte. Ihre Dienstleistung ist nicht Ihr Hobby. Sie ist Ihr JOB.

Nur weil man keinen Vorgesetzten hat, der die Stempeluhr überwacht und nur weil man seine Arbeit in den eigenen 4 Räumen verrichtet heisst es nicht, dass die Arbeitszeit keinen Wert hat. Spannenderweise wird jemand, der im Angestelltenverhältnis arbeitet, viel seltener um solche Frondienste gebeten. Das zeigt deutlich, wie in den Köpfen selbständig eingeteilte Arbeitszeit gewichtet wird, sie ist in Hülle und Fülle vorhanden. Schliesslich kann man den Freundschaftsdienst ja noch Abends oder am Wochenende verrichten. Als Selbständige arbeitet man ja eh nicht nine to five, da spielt es ja keine Rolle mehr...

Ich bin in dieser Sache sehr strikt und sage immer Nein. Wenn jemand meine vertiefte Meinung zu einer Frage haben möchte, darf er mich für eine Sitzung in meiner Praxis buchen und bekommt dort meine volle Aufmerksamkeit für sich und sein Thema und kann sich von mir inspirieren lassen. (Meine Antworten hier sind noch immer kostenfrei!) Wem dieser Service mein Honorar nicht wert ist, hat ihn auch nicht verdient. Das ist eine Frage der Wertschätzung. Ich weiss, dass ich die 180 Franken, die eine Sitzung bei mir kostet, wert bin. Wenn ich meine Leistung für eine Tasse Kaffee anbiete, dann schmälere ich den Wert der Leistung um genau 175 Franken. Und nicht nur den Preis, sondern tatsächlich auch den Wert, die meine Leistung für das Gegenüber hat. (Ich habe in meiner Praxis schon Menschen in die Selbständigkeit begleitet, die danach nicht nur zu diesem Schritt bereit waren, sondern den Inhalt meiner Website 1:1 kopierten. Das hätten sie auch getan, wenn man sich zum Kaffee getroffen hätte, aber es hätte vermutlich etwas mehr geschmerzt.)

Für eine Hochzeit gibt ein Paar in der Schweiz durchschnittlich 25'000 Franken aus. Warum sollte Ihre Arbeit keinen fairen Anteil dieses Budgets ausmachen? Und wie gross kann die Wertschätzung gegenüber einer Dienstleistung sein, für die man nicht bereit ist, denn vollen Preis zu bezahlen? Wie gross ist die Wertschätzung gegenüber Ihnen als Mensch? 

Ich habe KundInnen, die nur ein oder zweimal im Jahr kommen und auf diese Stunde hinsparen müssen. Wenn Sie dann bei mir in der Praxis sitzen, wissen Sie jede Minute der Sitzung und jeden Denkanstoss zu schätzen. Sie bringen sich voll ein und arbeiten massgeblich mit, um von der Stunde voll zu profitieren. Würde ich die gleiche Arbeit im Café bei einem Stück Kuchen leisten, würde sie als freundschaftliches Geplänkel abgespeichert und nicht im Ansatz den gleichen Effekt haben. Ich gebe mit dem Preis meiner Dienstleistung also auch den Wert meiner Arbeit vor. Das kann ich nur mit gutem Gewissen, weil ich weiss, wie gut ich bin. 

Enge Freunde bekommen meinen Rat oder meine Meinung natürlich auch bei einem Abendessen und selbstverständlich ohne Gegenleistung. Genau 5 Menschen zähle ich zu diesem engen Freundeskreis. 

Sie haben nun also 2 Hausaufgaben zu machen:

1. Werden Sie sich Ihres Werts bewusst. Wenn Sie als Selbständige überleben wollen, müssen Sie imstande sein, für sich und Ihr Honorar hinzustehen. Das werden Sie nur dann schaffen, wenn Sie davon überzeugt sind, dass Sie jeden einzelnen Franken wert sind. Wenn Sie hier eine Unsicherheit haben ist entweder das Honorar zu hoch (eher selten!) oder aber Sie glauben selber nicht so ganz, dass Sie den Betrag wert sind (fast immer!). 

2. Werden Sie sich klar über Ihren Freundeskreis. Schreiben Sie alle Menschen auf, die Sie zu Ihren engen Freunden zählen. Dann stellen Sie sich folgende Fragen: Würde mir dieser Freund (diese Freundin) beim Umzug helfen? Würde mir dieser Freund in der Not Geld leihen? Und umgekehrt; würde ich es tun? Wer bei diesen Fragen durchfällt, wird sofort wieder von der Liste gestrichen. Wenn man mit sich ehrlich ist, verbleiben eine Handvoll Menschen auf der Liste. Alles andere sind Bekannte, nicht mehr und nicht weniger.

Und Bekannte müssen für Ihre Dienstleistung voll zahlen. Punkt. 

Herzlich, Ihre Kafi 

 

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