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hallo kafi. bist du für oder gegen die 1:12 Initiative? Und wieso? Lg Gabi, 25

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Leider bin ich in Abkürzungen nicht so bewandert und werde mir darum erlauben, im nachstehenden Text alle Worte in ihrer vollen Länge auszuschreiben. Ich hoffe, Sie können mir trotzdem folgen. Ich werde die 1:12 Initiative ablehnen und ich werde Ihnen auch sagen, wieso.

Wir zwei und die restliche Schweiz sind uns vermutlich einig darin, dass es nicht sein kann, dass ein Chairman seine Unternehmung über Jahre bis zum Letzten abzockt und sich danach seinen Abgang noch mit 72 Millionen vergolden lässt. Das ist auch der Grund, warum Minders Abzocker Initiative im März diesen Jahres mit einem deutlichen JA von 67,9 % der Stimmenden angenommen wurde. Ich habe damals auch dafür gestimmt und ich bin der Meinung, dass es wichtig war, dort ein klares Zeichen zu setzen.

Bei der 1:12 Initiative geht es allerdings um etwas anderes. Hier geht es darum, dass man einem Firmeninhaber vorschreiben will, was er seinem CEO an Salär zahlen darf. Nämlich höchstens 12 mal mehr als dem Angestellten mit dem kleinsten Salär innerhalb der Unternehmung (ausgeschlossen der Lehrlinge, Praktikanten und geschützten Arbeitsplätzen). Das mag auf den ersten Blick ja richtig erscheinen, weil man sich wirklich fragen kann, ob die Leistung eines Geschäftsführers tatsächlich 12 mal mehr wert sein kann, als die der Putzkolonne. Aber grundsätzlich bin ich der Meinung, dass das der Firmeninhaber selber für sich entscheiden muss. (Und im übrigen hat man die Putzkolonne und andere schlecht bezahlte Jobs schnell an eine externe Firma outsourced und damit das Problem auch aus der Welt geräumt.)

Wir leben in einer globalisierten Welt und viele Schweizer Unternehmungen können nur durch Exporte überleben. Der Schweizer Markt hat die Grösse eines Stecknadelkopfes, im Verhältnis zum weltweiten Markt. (Und nein, ich meine nicht die Stecknadeln mit den bunten runden Köpfen, sondern die mit dem winzig kleinen Stahlkopf.) Für viele führende Positionen muss man auf dem internationalen Markt nach der richtigen Person suchen. Entweder weil das Business einen international vernetzten Manager benötigt, oder aber weil es auf dem Schweizer Arbeitsmarkt keinen gibt, welcher gerade passt, oder frei ist. (Wie IMMER meine ich hier selbstverständlich auch ManagerINNEN und weibliche Führungskräfte!!!) Darum muss eine international tätige Firma auch imstande sein, Saläre zu zahlen, wie sie auf dem internationalen Markt gängig sind. Ansonsten wird sie keine Chance haben, einen Manager in die Schweiz zu locken, da können unsere Berge noch so wunderschön in der Abendsonne glitzern. Da dürfen wir uns nichts vormachen.

Natürlich kann man sich auch hier fragen, ob es sinnvoll ist, sich an ein System anzupassen, dass sich in eine perverse Richtung bewegt. Aber selbst hier sieht die Realität so aus, dass wir gar keine andere Wahl haben. Die Schweiz kann sich mit Händen und Füssen dagegen wehren, zu Europa zu gehören, die globalisierte Weltwirtschaft, die Liebe und die Luftverschmutzung wirken jedoch unbeeindruckt von Landesgrenzen.

Wir haben kein Rohstoffvorkommen und weniger als 4% der Schweizer Bevölkerung arbeitet in der Landwirtschaft. Wir sind eine Exportnation und gleichzeitig ist heute gut die Hälfte der Erwerbsbevölkerung in Dienstleistungsindustrien tätig. Diese ist einfacher ins Ausland zu zügeln als ein Kohlewerk.

Wenn wir der Schweizer Wirtschaft vorschreiben, wie viel Sie ihren Führungskräften an Salär zahlen dürfen, dann wird diese nicht von Gewissen geschwängert plötzlich anfangen, eingesparte Managerlöhne an die anderen Arbeiter im Betrieb zu verteilen, sondern sie wird abwandern. Und zwar nicht wie bis anhin in einen steuergünstigeren Kanton, sondern in Ausland. Callcenter werden nach Indien verlegt, Produktionsstätten nach Osteuropa oder China.

Die Unternehmen die bleiben und sich an die 1:12 Regel halten, werden wegen tieferer Löhne auch weniger AHV-Abgaben zahlen müssen. Es wird mit jährlichen Ausfällen von bis zu 2.5 Milliarden Franken bei der AHV gerechnet. Ein Loch, das über die Steuern gestopft werden muss.

Es gibt 1:12 Anhänger, die in einem romantischen Wilhelm-Tell Traum zu stecken scheinen und sich tatsächlich einreden, eine heroische Vorbildfunktion für Europa, ja für die ganze Welt einnehmen zu können. Aber da nehmen wir uns - einmal mehr - einfach viel zu wichtig. Wenn wir an unseren Löhnen schrauben wird sich deswegen ennet der Landesgrenze nichts ändern. Nullkommareingarnichts. Die Schweiz wird einen verdammt hohen Preis zahlen müssen für diese angebliche Vorreiterrolle.

Kein gewöhnlicher Büetzer wird deswegen mehr Geld im Portemonnaie haben und die VerkäuferInnen von Lidl werden weiterhin um einen Mindestlohn kämpfen müssen. Wer durch die Annahme der 1:12 Initiative an eine Umverteilung von Geld glaubt, kann ebenso an den Storch oder den Weihnachtsmann glauben. Mir geht diese Überdosis an Naivität und kindlicher Gutgläubigkeit allerdings ab.

Und wer appelliert, dass die Schweiz als Standort unglaublich viel zu bieten hat und dass gehen soll, wer gehen will, wird schon bald ins Leere appellieren. Wenn Novartis dem scheidenden Vasella 72 Millionen in den vergoldeten Hintern schieben will, damit dieser sich nach 17 Jahren auf dem Chefsessel (!!!) an die Konkurrenzklausel hält, dann kann man darin ruhig das Level der allgemeinen Loyalität der Schweizer Wirtschaft ablesen.

In diesem Sinne stimme ich mit voller Überzeugung gegen die 1:12 Initiative und ich empfehle Ihnen, es mir gleich zu tun.

MfG, Ihre K.

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